Gericht und Fürsorge

Stadtentwicklungen sind einerseits geprägt vom Vorhandensein eines geeigneten Platzes, möglichst nahe an Flüssen mit Zugang zum Straßennetz und verwertbaren Ressourcen - hier z.B.: Lehm, Holz, Stein - einer effektiven (geplanten) Stadtstruktur sowie dem Aufbau eines Verwaltungswesens, welches den Ortsbewohnern ein friedliches Miteinander gewähren half.

Gleiches gilt für Dresden Ende des 13. Jahrhunderts. Die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten oblag dem Stadtrichter (advocatus, judix universitatis, proconsul), welcher zusammen mit frei gewählten Bürgern neben der Stadtsicherung auch für Justiz und Polizei verantwortlich zeichnete. Letztes Wort in der niederen wie oberen Gerichtsbarkeit hatte jedoch der Landesherr, welcher sich 1299 nicht nur gegen Angriffe auf Wallfahrer nach Dresden (Kreuzkirche; ehemals Kapelle des Nonnenklosters St. Clara) äußerte, sondern gleichsam gegen Mord, Raub, Diebstahl oder irgend einer andern bürgerlichen heimlichen Schuld vorzugehen gedachte. Gleichzeitig trat er gegen eine willkürliche Festsetzung von Bürgern im Stock auf.

Verantwortlich zeichnet hierfür der älteste Ratsbeamte, auch Büttel oder Frohnbote genannt (1299 bedellus civium). 1412 erwirbt die Stadt für 28 Schock neuer Schildgroschen von Friedrich IV. Landgraf von Thüringen die niedere Gerichtsbarkeit in und vor der Stadt, so weit die Graben und Zäune gehen und auf der Brücke  an der Capelle. Inwieweit der Büttel (d.h. Stockmeister) identisch ist mit dem 1402 erstmals genannten czuchtiger bzw. henger (1407), lässt sich aus heutiger Quellenlage nicht mehr klar ersehen. Untrennbar miteinander verbunden sind jedoch der Scharfrichter und das Abdeckereiwesen.

 

Erster Hinweis auf obergerichtliche Maßnahmen, inbegriffen einer ältesten Richtstätte, bietet eine Straftat aus dem Jahre 1227. Dazumahl hatten zwei Tuchmacher aus Pirna in Dresden eine Frau ermordet, und hier sich des Abends in eines reichen Bürger Haus einschließen lassen, um ein darin befindliches 18jähriges Mädchen zu ermorden. In diesem Hause wurden sie aber ergriffen, und nach ihrem Geständnisse verurtheilt, durch das Rad vom Leben zum Tode gebracht zu werden, welches Urtheil auch binnen kurzer Zeit vollstreckt wurde.

Gleichfalls werden Büttner oder Böttcher in der seit 1308 (16.10.) geltende Wein- und Schankordnung angehalten, bei Strafe von 1 Pfund oder gar Abtrennung eines Daumens richtiges Maas bei ihren Gefäßen zu beobachten. Auch diese Buße setzte eine dementsprechende Richtstätte voraus.
Wesentlich wichtigerer Aspekt erster beschriebener Hinrichtungen in Dresden war der stark verbreitete Aberglaube jener Zeit. Egal, ob unheilvolle Planetenkonstellationen, Missernten, Hochwasser oder immer wieder auftretende Krankheiten und Seuchen ... es wollten "irdische" Schuldige gefunden sein. Dieses Schauspiel nimmt insoweit groteske Formen an, als 1347/49 in ganz Europa die Pest wütete und dadurch größere Landstriche gar entvölkert wurden. Eine Verfolgung der Juden als Giftmischer setzte ein, wobei neben der Einziehung ihres Vermögens Fastnacht 1349 auch in Dresden Scheiterhaufen loderten. Weiterhin galt es zu dieser Zeit den Angriffen auf Reisende, Räubern und Mordbrennern Einhalt zu gebieten.

 

cabinet saxonicum curiosum: Ein Bauer zu Willitzgrün, der sein Weib getötet hat, muß ein Rind in die Schloßkirche (Plauen/V.) als Gerichtsbuße reichen (1383)

 

Großes Augenmerk legten die frühen Stadtväter Dresdens auf die Reinhaltung der Gassen. Von Zeit zu Zeit ließ man deshalb den Henker herrenlos herumlaufende Hunde totschlagen, was ihm den Namen eines Hundeschlägers einbrachte (z.B. 1415: Item dem huntsleger 27 gr., das her dy hunde begraben hat, 4 gr.) oder man betraute ihn mit dem Totengräberamt (z.B. 1446: 3 gr. dem todengrebir vor eyn suwehut (Sauhaut)). Früheste Maßregeln gegen den Verzehr von verdorbenen Nahrungsmitteln riefen ebenfalls den Henker auf den Plan, wobei der zu jener Zeit als Volksspeise begehrte Hering vielmals verdorben in die Stadt kam. Der Rat wies deshalb an, diese entweder in die Elbe zu werfen oder auf dem Markt zu verbrennen (z.B. 1456: 7 gr. dem themmer von eyner tunne hering yn dy Ehlbe gewurffen, davon ym 15 gr. geboren).

 

1553 kaufte eine Bürgerin von einem Berliner Handelsmann eine Tonne mit Heringen. Als sich nun die Waare nicht als richtiges Kaufmannsguth befand, wurde von Rechtswegen die Tonne dem Scharfrichter übergeben, der sie am Montag nach Nicolai auf öffentlichem Markte an den Pranger stellte, dann auf die Brücke brachte, die Reifen durchhieb und in die Elbe stürzte. (Quelle: Der Sammler 15)

 

Ebenso hatte der Henker/Büttel Aufsicht zu führen über das dem Rat gehörendem und unter Obhut einer "Wirtin" stehenden Frauenhaus (auch "Hurenhaus", "freies Haus", "gemeines Haus", "böses Haus"), welches sich gleichsam im verrufensten Teil der Stadt - dem Loche - befand (z.B. 1456: 4 gr. dem themmer uff disse woche, wenn das frawenhuß nicht besatczt was mit tochtern unde ym dy wirtynne nicht 4 gr. hatte zcu gebene). Weiterhin war dem Abdecker der Stadt die Grubenräumung zugewiesen.

 

Ein besonderes Jahr für die Gerechtsame Dresdens stellt 1484 dar. Nachdem der Rat bereits (28.01.)1412 die Untergerichte gepachtet hatte, verfügte der Rat seit (24.05.)1484 auch über die Obergerichte bzw. über die Gerichte über Hals und Hand. Zur Zuständigkeit derselben beschreibt Herzog Georg von Sachsen 1505: Zetergeschrei, als ob einer Jemand morden oder ein Weib oder Maid nödtzögen wolt, auch Wunden, die einer dem andern geschlagen oder geworfen hätte, gezogen Schwert oder Waffen, damit einer verwundt, lembde, todtschlege oder wo tot Körper befunden und Deube (= Diebstähle), die bei 3 Schilling oder darüber wirdigk, sollen vor unsern Gerichten und Gerichtstühlen gericht werden. Was sich aber sonst dorunter Felle begeben, sollen unsern Unterthanen zu ihren Erbgerichten folgen.
Wenige Jahre zuvor, 1493, hatte Herzog Georg die Amtstätigkeit des Dresdner Scharfrichters und Abdeckers auf die Städte und Ämter Freiberg, Hain (Großenhain), Meißen, Pirna, Radeberg, Dippoldiswalde und Lommatzsch erweitert. Die Jahresbesoldung betrug hierfür insgesamt 50 Gulden. Die zur Strafvollstreckung benötigten Gerätschaften wie Räder, Fässer, Leitern, Haken, Stricke usw. wurden ihm geliefert. Auch die Scharfrichterei selber wird ihm, wie in anderen Städten, vom Rat zur Verfügung gestellt worden sein.

Gerichtsbücher, Achtbücher und Bekenntnisbücher der Stadt sind uns seit Mitte/Ende des 15. Jh. bekannt und bilden eine wichtige Quelle zur Strafrechtspflege bzw. zu strittigen Gerichtsbarkeiten.

Das Stadtbuch von 1495 bis 1505 enthält gleichfalls Eintragungen z.B. über den Dienst des Abdeckers (1501) bzw. abschriftlich eine Urkunde Herzog Georgs vom 21. August 1502 über das Halsgericht auf der (Augustus-)Brücke.

 

 

Doch erst einmal sollte der Aberglaube im Volk dem Scharfrichter und seinen Knechten selber zum Verhängnis werden. Anfang des 16. Jh. griff wieder einmal eine Viehseuche im Land um sich, wie nicht selten in dieser Zeit. Nach einer scharfen Untersuchung stellte man fest, dass die Caviller selbst die Weiden vergiftet haben, was 1501 zu einer Verfolgung derer selbst führte. In den beiden folgenden Jahren wurden deshalb zu Dresden, wie auch in Meißen, Wurzen und Döbeln die Abdecker ergriffen und nach Urteil verbrannt. Die Glauchauer Chronik berichtet hiervon noch 1519.

 

Immerhin unterschied man zu jenen Zeiten zwischen Totschlag und Mord, wobei ersterer milder bestraft wurde. Eine unvorsätzliche Tötung wurde in der Regel durch Zahlung eines Wehrgeldes, Lesen von Seelenmessen und Vigilien, durch Wallfahrten nach Rom oder Aachen ("Rom- / Achfahrten"), Seelbädern, durch Errichtung eines steinernen Kreuzes oder auch durch den Bau einer Kapelle gebüßt. Steinkreuze, auch "Sühnekreuze" genannt, begegnen uns heute noch im Dresdner Stadtgebiet, so z.B. im Nordteil des Großen Gartens an der ehemals hier gelegenen Pirnaer Landstraße, in Klotzsche (Jonaskreuz oder 1560 Steinen Kreutz) oder Leubnitz (1525).

 

Ebenso wurden zu dieser Zeit unter bestimmten Voraussetzungen Verfehlungen "niederer Natur" nicht gleich mit dem Tode bestraft. Hierzu zählten unzüchtiges Wesen, Hurerei, Kuppelei, außereheliche Schwängerung, frevle Reden gegen den nächsten und gegen den Rat, Trunkenheit, "Drohworte in bierlicher Weise", Verlobungen ohne gesetzliche Einwilligung, Zauberei, Sektierwesen, Schandbriefe, Schlägereien, Verfälschungen von Waren, Vergehungen gegen die Religion, Verfehlungen gegen Zunftartikel, Jagdfrevel, Spiel, Völlerei usw. [Görlitz].

 

Bemerkt werden sollte in diesem Zusammenhang auch, daß die peinliche Gerichtsordnung Karls IV. (1532 - Carolina) lediglich ein Hilfsmittel in der Rechtssprechung wurde, man sich hierzulande vielmehr auf das Sachsenrecht berief - aufbauend auf Willkür und Gewohnheit. Kamen Zweifel in der Rechtssprechung auf, wurde meist der Magdeburger Schöffenstuhl angerufen (seit 13. Jh.) bzw. das Schöffengericht in Halle. Erst die allmähliche Profilierung des Leipziger Schöffenstuhls in Verbindung mit der dort seit 1409 ansässigen Juristenfakultät brachte eine akzeptable Alternative zu Magdeburg, bis schlussendlich 1547 Leipzig den Vorrang in der obersten Rechtsprechung bekam. So beweist eine Vorordnung aus dem Jahre 1432, ausgestellt von Kurfürst Friedrich dem Sanftmütigen und seinem Bruder Sigismund, daß alle ihre Unterthanen forthin, so oft sie Rechtsbelehrungen, Urtheil und Sententien bedürftig, dieselbe von den Doctoren, verständigen ehrbaren Bürgern zu Leipzig oder anderen Verständigen in ihren Landen, und nicht mehr zu Magdeburg, holen sollten.