über den Tellerrand hinaus ...

 

So wie in Sachsen ein Carnifex als Scharfrichter - Carnifex daselbst immer nur im Zusammenhang eines Fleischers betrachtet - oder ein Wasenmeister als Abdecker/Feldmeister eher unwahrscheinlich daherkommt, sind örtliche Eigenheiten auch zur Praxis nicht mit der Gewohnheit des Allgemeinen betrachtet wahrzunehmen. Dies gilt gleichermaßen für die Örtlichkeiten, die Arbeitsstätten, althergebrachte Rituale usw.

Nachfolgende Beispiele sind Zufallsfunde, welche ich hier gerne wiedergeben möchte.

Der Scharfrichter Franz Joseph Mengis in Altbreysach ist wegen seiner das Menschenleben gefährdenden Pfuschereyen in der Arzneykunst gestraft, und ihm jede fernere Einmischung in die Menschenheilkunde bey Zuchthausstrafe untersagt worden. – Das Publikum wird gegen diesen schädlichen Pfuscher gewarnt. / Freyburg den 14ten Jenner 1808. / Großherzogliche Regierung der Landgrafschaft. / Stirkler. / Thaler.


Ein Hamburger Scharfrichterpfennig. Zu den eigenartigsten Medaillen gehören die als Hamburger Scharfrichterpfennige bekannten, die ihren Namen davon herleiten, daß die Scharfrichter der alten Hansastadt verpflichtet waren, dem ältesten Gerichtsherrn der Stadt, auch „ersten Prätor" genannt, bei seinem Ausscheiden aus dem Amt einen „silbernen Pfennig" zu „verehren". Da nun das Amt eines ersten Prätors jedes Jahr wechselte, so sind noch eine ganz stattliche Anzahl solcher Scharfrichterpfennige erhalten, von denen die meisten, gegen hundert in der Hamburger Kunsthalle aufbewahrt sind. Sie stammen aus dem 15., 16., 17. und 18. Jahrhundert, die letzten aus dem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, denn am 13. Dezember 1810 wurde Hamburgs Selbständigkeit durch Napoleon aufgehoben, der es dem französischen Reiche einverleibte. Damit erlosch der alte Brauch, der nach der Wiederherstellung der Selbständigkeit Hamburgs nicht wieder aufgenommen wurde.

Die Scharfrichterpfennige waren meist gegossen, seltener geprägt und zeigen auf der einen Seite das Hamburger Wappen, auf der anderen dasjenige des betreffenden Gerichtsherrn, sowie eine darauf bezug habende, in der Regel auf beide Seiten verteilte Umschrift. In der Zeitschrift „Der deutsche Herold" gibt der Nachkomme eines solchen Gerichtsherrn, Dimpfel, die Abbildung eines Scharfrichterpfennigs, der seinem Vorfahr verehrt wurde, die wir beistehend wiedergeben. Die Münze zeigt aus der einen Seite das bekannte Hamburger Wappen, auf der anderen dasjenige der Familie Dimpfel, wie es am 14. Januar 1556 dem aus Regensburg stammenden Schiffmeister Hans Dimpfel von Karl V. für seine „getrewen, willigen Dienste, so er . . . in viel wege ungespart seins Leibs und vermögens erzaigt und bewissen hat", verliehen wurde. Bei dem damaligen tiefen Stande der Heroldskunst ist aber das Wappen recht ungenau wiedergegeben. Die am beide Seiten verteilte Inschrift lautet:

Herr Johan Albrecht Dimpfel J. U. L. (d.h. juris utriusque licentiatus) war Ao. 1771 Aeltester Gerichtsherr zu Hamburg“.

Timpfel bemerkt zu dem Titel „Lizentiat der Rechte", daß sich damals viele Hamburger Juristen mit diesem Titel begnügten und nicht den höheren des „Doktors" erworben, um dadurch die Möglichkeit einer Wahl zum Senator zu behalten. Denn nach der Hamburger Rangordnung jener Zeit folgten sich streng geschieden: Bürgermeister, Doktoren, Senatoren, Lizentiaten usw. Ein zum Senator gewählter Doktor hätte also um eine Rangklasse herabsteigen müssen, während ein Lizentiat bei seiner Wahl zum Senator/ um eine heraufstieg und dann bei der Ernennung zum Doktor um eine weitere. Den letzten überhaupt verehrten Scharfrichterpfennig erhielt der Senator Johann Gerhard Graepel im Jahre 1810, denn in diesem Jahre vernichtete Napoleon, wie erwähnt, zunächst die Selbständigkeit der alten Hansastadt. [Der Deutsche Correspondent. (Baltimore, Md.), 1917]


Die letzte deutsche Verbrecherverbrennung. / Es klingt fast unglaublich, daß im gleichen Jahrhundert, das uns Eisenbahn und Telephon brachte, in Deutschland noch eine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen stattfand. Diese mittelalterliche Strafe wurde aber tatsächlich – wenn auch glücklicherweise zum endgültig letzten Male – am 28. Mai 1813 in Berlin vollzogen, und zwar an dem Verbrecherpaar Peter Horst und Christiane Delitz. Die beiden waren überführt, gemeinschaftlich mehr als 45 Brandstiftungen in Sachsen, Preußen und Oesterreich begangen zu haben, in der Absicht, bei Gelegenheit des Brandes zu stehlen. Dabei hatten sie sechs Menschen ermordet und einen Schaden von 300 Talern angerichtet …



Die Lieutenants von Aspern und Temmen, welche wegen Vergehens bei dem Festungsbau von Ypern kassirt und degradirt sind, hatten Se. Maj. um Gnade angesprochen; Ihr Gesuch ist verworfen. – Das aus eben derselben Ursache gegen den Ingenieur-Oberstlieutenant Lobry ausgesprochene Urtheil, welches ihm lebenslängliche Strafarbeit, Ausstellung an dem Pranger und Brandmarkung zuerkannt, ist von Sr. M. dahin abgeändert, daß der Scharfrichter dem Verurtheilten das Richtschwerdt über dem Haupte schwingen und derselbe 20 Jahre in ein Zuchthaus eingesperrt werden soll. [Karlsruher Zeitung, Nr. 91, 01.04.1827]



1871: Das Untersuchungsgericht in Hartberg [Steiermark] meldet in einer Zuschrift an die Wiener Direktion: In Vorau und einigen andern Orten des dortigen Bezirks hat ein Schwindler, der sich Joseph Thimmel nannte, und Scharfrichter, sowie Thierarzt zu sein vorgab, zahlreiche Betrügereien ausgeführt, indem er verhexte Menschen u. Thiere heilen zu können vorgab. Die Bauern glaubten dem Zauberer und hatten solchen Respekt vor ihm, daß sie seine Forderungen nach Geld und Naturalien erfüllten.


1889: Die erste Hinrichtung mittelst Elektrizität hat unlängst in New-York stattgefunden. Es war ein Deutscher, Namens Joseph Reitsch, der eine Frau ermordet hatte, welcher das erste Opfer der neuen Hinrichtungsart wurde. Man hat zuerst Versuche an einem Kalb und einem Pferde gemacht, welche durch elektrische Ströme getödtet waren. Reitzsch wurde auf einen hölzernen Stuhl gesetzt, dessen Lehne in eine schiefe Richtung gebracht und mit starken Klammern an dem Boden befestigt wurde. Er ward mittelst eines Riemens an den Stuhl festgebunden; das Gesicht wurde ihm mit einem Schleier verhüllt. Hierauf legte man ihm einen metallenen Ring um den Hals und lehnte seinen Kopf an eine metallene Kugel. Dann wurde die Leitung mit dem Halsringe in Verbindung gebracht; der elektrische Funke drang durch diesen und die Kugel in das Gehirn und der Tod trat auf der Stelle ein, als ob der Verbrecher vom Blitze getroffen worden wäre. Bei der Leichenöffnung wurde wahrgenommen, daß das Gehirn voll Blut war; sonst wurde keine sichtbare Veränderung an dem Leichnam wahrgenommen. Der Hinrichtungsapparat soll noch der Verbesserung bedürftig sein. [Fuldaer Zeitung, Nr. 59, Dienstag, den 12. März 1889]

 

P.S.: Eine ähnliche Apparatur ward schon drei Jahre zuvor, 1886, in Leipzig vorgestellt.



Hinrichtung der Anarchisten in Xeres 1892
Hinrichtung der Anarchisten in Xeres 1892

In Barcelona fand eine vierfache Hinrichtung, einer Frau und drei Männer statt, die in einem einige Kilometer entfernten Flecken einen armen, alten Pfarrer ermordet hatten. Um 7 Uhr Morgens wurden sie aus dem Gefängnisse zum Richtplatze gefahren. Die Armsünderkarren waren von einer Abtheilung Infanterie mit aufgepflanztem Bajonett umgeben. Darauf folgte der Scharfrichter, ebenfalls von Soldaten begleitet, und zum Schluß eine Abtheilung Kavallerie. Die Frau Penas, welche zuerst hingerichtet werden sollte, befand sich mit zwei Paters und einem Geistlichen auf dem ersten Karren. Sie war entschlossen und muthig und schritt ohne Hilfe die zehn Stufen zum Schandpfahl hinauf, während zwei der Männer, Esteve und Puig, mehr todt als lebend fast hinaufgetragen werden mußten, während der dritte seine Fassung keinen Augenblick verlor und ruhig wartete, bis man auch ihm die Garotte angelegt hatte. [1896]


Umgedrehtes Brot. Viele Leute erschrecken bei Tische, wenn sie das Brot zufällig umgekehrt liegen sehen. Schnell nehmen sie es und bringen es wieder in die normale Lage. Der Aberglaube behauptet nämlich, das umgekehrte Brot bringe irgend einem der Tischgäste Unglück. Natürlich hat diese Ansicht nicht die geringste Bedeutung, dennoch sei hier auf den Ursprung dieser seltsamen Anschauung hingewiesen.

Früher, fast bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, hatte jede Stadt in Frankreich einen Henker. Die Bäcker hatten damals noch nicht die Gewohnheit, ihren Kunden das Brot zu bringen, vielmehr holte es sich ein jeder morgens von ihnen ab. Da nun der Henker, wie jedermann, für sich und seine Familie Brot brauchte, so kaufte natürlich auch er beim Bäcker. Er hatte aber nicht das Recht, zu wählen, wie es die anderen Kunden taten, die Bäcker backten vielmehr das Brot für den Henker im voraus und legten es umgekehrt auf ein Gestell, fern von den anderen, damit er es sofort erkennen und nehmen konnte, ohne daß seine als „unehrlich" geltende Hand die für die Kundschaft bestimmten Brote anzurühren brauchte.

Das umgekehrte Brot war also das Brot des Scharfrichters, und niemand hätte es nehmen mögen, selbst die ärmsten Leute wiesen es zurück.
Wie die meisten abergläubischen Bräuche stammt also auch dieser noch aus dem tiefsten Mittelalter, und es ist merkwürdig, daß das „umgekehrte Brot" noch heute seine Rolle spielt. [Der Deutsche Correspondent. (Baltimore, Md.), 1917]


1923: Der Gouverneur des Staates Nevada ordnete jetzt an, daß Hinrichtungen fortan mit Hilfe von Gas zu bewerkstelligen seien. Die zum Tode Verurteilten werden nach Verkündigung des Urteils in einer besonderen Gefängniszelle untergebracht und dort ohne vorherige Ankündigung in der Nacht während des Schlafes durch ausströmendes Gas ins Jenseits befördert.




1947: Eine Münchner Spruchkammer reihte am 21. August den früheren Scharfrichter Joh. Reichardt, den „Henker von München“, bei 85prozentigem Vermögenseinzug in die Gruppe der Hauptschuldigen ein und verwies ihn auf die Dauer von zehn Jahren in ein Arbeitslager.