Hundeleben

Die größten Widersacher der Bewohner eines Ortes waren neben Feuer (verursacht durch Unvorsichtigkeit oder Blitzeinschlag), Naturgewalten (Sturm, Überschwemmungen, Eisfahrten) und Kriegen vor allem Seuchen – welche nicht nur den Viehbestand dezimierten, sondern auch die Menschen direkt angriff. Unterschiedliche Vorkehrungen sollten letztere verhindern helfen, wobei der Abdecker/Scharfrichter unterstützend u.a. für die Reinhaltung der Gassen zu sorgen hatte. In Punkto Seuchen wurden weiterhin z.B. Bäche durch die Stadt geleitet (welche den Unrat aus der Stadt schwemmte), Straßen gepflastert, und … bei Ausbruch Häuser, Straßen, ja manchmal gar die ganze Stadt versiegelt.

 

Noch eine andere Form von Krankheit und Tod suchte man aber der Stadt fernzuhalten – die Tollwut. Für unsereins heute kaum noch eine Randnotiz wert, war bis tief ins 19. Jahrhundert diese noch weit verbreitet, wobei als Überträger dieser Krankheit u.a. der streunende bzw. herrenlos herumlaufende Hund schon sehr früh identifiziert wurde. Allein den Fleischern und dem Abdecker war es gestattet, Hunde zu halten, letzterem gar die Zucht der herrschaftlichen Jagdhunde aufgetragen. Um den wildernden Hunden Herr zu werden, sind seit Beginn der städtischen Aufzeichnungen (ab ca. 14. Jh.) sogenannte Hundeschläger (auch: Exducenti canes, heczil, heczeil, hundeheczil, huntsleger, hundeschloher, hundtsschlagernn) angestellt.  1553 verzeichnet die Dresdner Kämmereirechnung „6 gr. 4 Pfg. von 19 hunden dem schinder“. Wenige Jahre später erklärt u.a. die Stadt Borna, das die fleischer alle Ire hunde mit auff den Marckt nehmen, man frembde hunde komen, wirt ein wesen erger denn vor einer schinderei. Auch bekennt der Rat zu Leipzig 1607, daß Hunde und Katzen nicht auf die Gasse zu stoßen, sondern zum Meister zu bringen sind (1580 wurden in Leipzig 182 Hunde vom Abdecker eingefangen und getötet). Doch alle Bemühungen waren vergebens, ganz im Gegenteil … wurden doch in Dresden im 15. Jh. auf dem Altmarkt Hundehetzen veranstaltet. Auch fand man Vergnügen daran, durch den Hundeschläger einen Hirsch um den Ring jagen zu lassen, oder … Hunde fanden gar bei der Strafvollstreckung (Säckung) eine eher makabre Bestimmung. Noch heute ist der Volksglaube in mancher Religion arg gebeutelt, begegnet man auf der Straße z. B. einem schwarzen Hund.

 

Doch der Aspekt zur Gesunderhaltung der Bevölkerung war nicht zu verleugnen. Immer wieder suchte der Landesherr durch Patente und Verordnungen, diesem Missstand Herr zu werden, so z.B. 1796, wo es heißt: … 3.) Der Scharfrichter und dessen Leute haben bey Tage zu jeder Zeit, ingleichen die Nachtwächter zu jeder Zeit alle des Nachts auf den Gassen frey und ohne Beisriemen herumlaufenden Hunde wegzufangen und an sich zu behalten. / 4.) Die von ihnen aufgefangenen Hunde sind, insofern sie nicht mit einem Halsbande, auff welchem der Name oder die Anfangsbuchstaben des Namens des Eigenthümers befindlich, versehen sind, für herrenlos anzusehen, und können von dem Eigenthümer nicht zurück verlangt werden. Im entgegengesetzten Falle aber, und wenn an dem Hunde kein Kennzeichen einer vorhandenen oder zu besorgenden Tollheit wahrzunehmen ist, stehet es dem Eigenthümer frey, einen bey Tage weggefangenen Hund von dem Nachrichter mit acht Groschen, und einen zur Nachtzeit aufgefangenen, von dem Nachtwächter, mit sechzehn Groschen wieder einzulösen; doch ist der Eigenthümer eines weggefangenen Hundes in beiden Fällen, außer dem Verluste des Hundes oder dem dafür zu entrichtenden Lösegeldes, annoch mit der ad 2. festgesetzten Geldstrafe zu belegen. / 5.) Jeder Eigenthümer eines Hundes, welcher an demselben die entferntesten Merkmale der zu besorgenden Tollheit wahrnimmt, hat denselben sofort durch den Nachrichter abholen zu lassen, damit er getödtet, und nach Vorschrift des Gesetzes, verscharrt werde.

Schon 1637 erließ Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen ein Patent "die Anlegung der Hunde, besonders der Schäferhunde an Ketten anordnend'. Beachtenswert ist auch das Mandat, / die wider das Herumlaufen und die Wuth der Hunde vorzukehrenden Anstalten betr. vom 7. Septbr. 1782.

 

Als im Sommer 1764 bei dem wieder üblich gewordenen Hundeschlag an vier Tagen nur 17 Hunde gefangen und todtgeschlagen worden waren, da die Leute ihre Hunde infolge der vorherigen Ankündigung zu Hause behalten hatten, machte der Dresdner Scharfrichter Polster darauf aufmerksam, daß auf diese Weise der ganze Zweck der Maassregel, die Verminderung der Hundezahl, verfehlt werde, und schlug die Aufzeichnung sämmtlicher Hunde und die Einführung einer Hundesteuer vor, wodurch zahlreiche Leute, welche sich zum Theil selbst nur vom Betteln nährten und doch Hunde hielten, zu deren Abschaffung genöthigt werden sollten.

 

 

Vielerlei Regulative wurden seither verfasst, wo es z.B. 1835 heißt: dass Hunde, welche mit der Marke am Halse nicht versehen sind, durch die Leute des Scharfrichters aufgegriffen und, wenn sich binnen drei Tagen der Eigenthümer nicht meldet, getödtet werden, insofern nicht Obrigkeitswegen andere Verfügung darüber getroffen wird. Dem legitimirten Eigenthümer wird der Hund nur dann wieder verabfolgt, wenn er innerhalb der gedachten Zeit durch Vorzeigung der Quittung sich über die Versteuerung des Hundes auf die Zeit, in welcher derselbe aufgegriffen worden ist, oder aber die Steuerbefreiung durch die §. 7. bemerkte Bescheinigung ausweist; der Eigenthümer muß aber an Kosten für die Aufgreifung und Fütterung dem Scharfrichter Einen Thaler für jeden Hund bezahlen.

          Detailliert erfahren wir im „Regulativ für die Auflage auf Hunde“ vom März 1835 auch erstmals von der Erlegung der Hundesteuer. Dabei wurde zwischen Zug- und Luxushunden noch nicht unterschieden. Die Steuermarke auf ein Jahr erhielt man in Dresden am 1. April mit Abgabe von anfangs 1 Ngr. (in Leipzig 1. Januar für 16 Gr.),

 

Des Scharfrichters Knechte patrouillierten mehrfach im Monat durch die Gassen und Straßen, wobei die schokoladenbraun lackierte Hunde-Equipage des Kavillers auf dem Pflasterstein nicht zu überhören war, maulkorb- oder/und steuernummernlose Hunde einzufangen. Eingefangen wurde mit einer Drahtschlinge, welche späterhin zwar durch Tierschützer missbilligt wurden, doch Alternativen bis in neueste Zeit nicht in Anwendung kamen. Das Prinzip blieb gleich, lediglich die Materialien veränderten sich.

 

Solch Hundefang trieb mancherlei kuriose Blüten, wobei die Liebe des Hundebesitzers einerseits oder die Geschäftemacherei des Scharfrichters andererseits manch Volksauflauf verursachte … oder gar Betrüger sich dieses Geschäftsfeldes bedienten, indem diese (besonders in den Vororten beliebt) sich als des Scharfrichters Knechte ausgaben, um die Gebühren ihrer „Dienstleistungen“ sofort abzukassieren.

Wurden „tolle“ Hunde - z. B. bei Polizeidienststellen oder der Wohlfahrtspolizei - angezeigt, wurden diese durch den Kaviller eingefangen und durch Kopfschlag oder [zumindest in Dresden] in der Tierärztlichen Hochschule durch Blausäure getötet … Auch waren Hundesperren angesagt, straßenweise oder gar im ganzen Stadtbezirk.

 

P.S. Der Umgang mit Hunden blieb dem Scharfrichter/Abdecker auch bis in neueste Zeit nicht verwehrt. So erfährt man u.a., dass diese vielfach als Hundezüchter oder Tierärzte verdingten.  

 


1613: kam zu Zwickau ein thörichter oder rasender Fleischers-Hund, der schon etliche Leute beschädiget hatte, in die Schule, legte sich, welches sonsten solcher Hunde Art nicht ist, unter eine Banck, darauff Knaben sassen, und that niemand nichts; wollte auch nicht hinausgehen, ungeachtet, die Knaben ihn mit Hüten und Büchern geschlagen. Etwan nach einer halben Stunden lieff er wieder hinaus, that andern Hunden und auch Menschen Schaden, daß sie ihn auch ferner Unglück verhüten, erschlagen musten …

 

Leipzig 1633: 17. Juni, sind etliche rasende Hunde zwischen dem Gerichte und den Kohlgärten herumb gelauffen. Haben die Leute angefallen und ein Mägdlein von 12 Jahren nieder gerissen und gefressen. Als solches E. E. Rath angezeiget worden, hat er den Landknechten und Scharffrichter ihnen nachtrachten und sie erschiessen lassen.

 

Leipzig 1710: las man an den Thoren der Stadt ein Patent in Bezug auf Hundebesitzer, nicht etwa wegen anzulegender Maulkörbe, nein, kein Hund solle überhaupt in die Gärten der Vorstädte mitgebracht werden dürfen, damit nicht „dadurch die Fasanen und Rebhühner in der Brut gestöret und sonst gescheuchet würden“!

 

Grimma 1734: 29. Jan., wird die Witwe von Johann Erhard Jericho, Abdecker, wegen unhygienischer Hundehaltung vom Rat verhört.

 

1736: 06. Jan., Die durch zahlreich herumlaufenden Hunde hervorgerufenen Belästigungen der Einwohnerschaft veranlassen den Gouverneur Grafen von Friesen zu dem Befehl an den Rath zu Dresden, daß er gleich am folgenden Tage die Scharfrichterknechte durch die Stadt gehen und alle auf der Gasse anzutreffenden großen und mittleren Hunde, mit Ausnahme der mit den Kurschwertern gezeichneten königlichen Jagdhunde, ohne Unterschied todtschlagen lasse.

 

Das „erneuerte Wacht-Reglement“ zu Dresden anno 1777 bestimmte u.a.: „Wann die Knechte von dem Scharfrichter zur Fangung der unnützen Hunde ausgeschicket und von dem Stadt-Rath zu deren Bedeckung Rathswächter mitgegeben werden, so sind zu solcher Zeit Patrouillen alle Stunden auszuschicken, welche, wenn Verfolgung und Auflauf von der Populace entstehet, und die Knechte in ihren Verrichtungen gestöhret werden, die Excedenten auf die nächste Wacht zu bringen und hierbey die Wachten einander beyzustehen haben“.

 

1796: 28. Mai, Des Sanitäts-Collegii Anweisung für angehende Aerzte und Wundärzte, wie sie sich bey Personen, welche von wüthenden Hunden und andern dergleichen Thieren gebissen worden, in Ansehung der innerlichen und äußerlichen Behandlung zu verhalten haben.

 

 

1818: Der Scharfrichter Otto [zu Dresden] wird belangt, weil er Hundefett als Mittel gegen Brustleiden verabreicht hatte.

 

1835:  28. März, erlässt der Rat zu Dresden ein "Regulativ für die Auflage von Hunden", d.h. er führte die Hundesteuer ein. "Zur Verminderung der in hiesiger Stadt vorhandenen großen Zahl von Hunden und zur Beseitigung der daraus entstehenden Gefahren und Uebelstände" wurde ab Ostern eine jährlich zu entrichtende Steuer von 15 Groschen eingeführt, von der nur Kettenhunde befreit werden können.

 

1866: Die „Publ.“ bringt folgende Hunde-Statistik: 21.000 Hunde wurden in Berlin versteuert. 9.000 mögen unversteuert umherlaufen, so daß auf 20 Menschen ein Hund kommt. Von 2.501 Hunden, welche im vorigen Jahre von den Scharfrichtergehilfen eingefangen worden, wurden 1.520 nicht eingelöst und getödtet. 1.814 Ziehhunde giebt es hier, von denen 810 nicht versteuert werden, von denen sich aber täglich noch gegen 2.000 Hunde von außerhalb gesellen.

 

Am 21. Juli d. J., Morgens gegen acht Uhr, griffen die Scharfrichterknechte Reindel und Heitzmann auf dem Stralauer Platze ein dem Gastwirth Pankow gehöriges Windspiel auf. Das Publikum, wie immer in dergleichen Fällen, nahm Partei gegen die Hundefänger, insbesondere schritt der Angeklagte, aus Mitleid für den gewaltsam fortgeschleiften Hund, thätlich ein. Die Knechte wollten eine Droschke besteigen, allein der Kutscher nahm sie nicht auf und sagte: „Hunde fahren is nich, ick fahre bloß Menschen!“ In drohender Haltung von dem Volke verfolgt, setzten die Scharfrichterknechte darauf ihren Weg fort und der Angeklagte schlug Reindel in's Genick und mehrere Male auf den Kopf. Er rühmte sich dieser That sogar zu den Umstehenden und äußerte: „Na, dem hab' ich das ordentlich besorgt!“ – Albrecht wurde zu 14 Tagen Gefängniß verurtheilt und in der Begründung des Erkennt­nisses hervorgehoben, daß die Scharfrichterknechte während ihrer Dienstverrichtung beim Einfangen des Hundes unter amtlicher Autorität gestanden hätten. [Berliner Gerichts-Zeitung, 21.11.1868]

 

1872: Gewiss wird sich so Mancher erinnern, irgend einmal einer jener mysteriösen und doch bekannten Persönlichkeiten begegnet zu sein, deren ausschließliche Aufmerksamkeit in neuerer Zeit hauptsächlich unseren vierbeinigen Hausfreunden, - vulgo Russel usw. – gewidmet ist, und die bekanntlich den Namen oder Titel „Caviller“ führen“. Selbstverständlich wird man dieselben stets für Mannspersonen gehalten haben. Aber fehl geschossen! So ist erst kürzlich ein schmucker, junger Gehilfe des Cavillers – man hielt ihn wenigstens dafür – in hiesiger Stadt, und zwar in Begleitung eines Aufsichtsbeamten (?), auf Hundefang ausgegangen, der niemand Anders war, als die hübsche junge Frau eines hiesigen Gerbergehilfen. Die Männerkleidung, Eigenthum des Cavillers, hatte sie auf dessen ausdrücklichen Geheiß anlegen müssen.

 

 

1884: Auch eine Ferienkolonie! Der Abdecker von Köln hatte an das Oberbürgermeisteramt daselbst eine Beschwerde gerichtet, daß er in den Schulferien nichts verdienen könne. Ganze Karawanen von Schulkindern erwarteten Morgen seinen Wagen, um demselben einige Hundert Schritt voraus zu ziehen und jedes maulkorblose Hundevieh entweder aus dem Gesichtskreise der Hundefänger zu entziehen oder sonst nicht „fanggerecht“ zu machen. Jugend kennt eben keine Tugend.