Der Neumarkt

Etwas bizarr mutet der Gedanke schon an, wenn man weiß, dass auf dem frischgepflasterten Vorplatz der heutigen Frauenkirche seit dem Mittelalter ein Friedhof seinen Platz gefunden hatte. Und noch dazu kann man sich heute kaum mehr vorstellen, dass dieses Gelände ehedem mal „Vorstadt“ gewesen ist, wo Fischer, Töpfer und Salzsieder ihr Einkommen suchten, ein kleines Pfarrkirchlein (St. Marien; eines der Vorgängerbauten der heutigen Frauenkirche) Gläubiger anzog, eine Ziegelei – samt Ziegelwiese – die Baustoffe lieferten (1379 Der czins von der czigilscunen bis an dy vischer), welche innnerhalb und außerhalb der Mauern der Stadt immer wieder gebraucht wurden. Das um 1280 erbaute „neue Hospital St. Martini“ versorgte Alte und Kranke und lag nach seinem Wiederaufbau 1432 (Zerstörung 1429 durch die Hussiten) an der östlichen Seite des Frauenkirchhofes.
Herausragend war aber das 1289 erstmals erwähnte Kirchlein zu „Unsern Lieben Frauen“, ohne Zweifel älteste Kirche Dresdens. Geschichtsschreiber bemerken hierzu, dass diese bei Gründung dieses Fleckens ursprünglich nur in einem Privathaus eingegliedert war. Anton Weck schreibt in seiner Dresdner Chronik 1680: „Die Zeit der fundation haben zwar die Vorfahren nicht aufgezeichnet; und dergleichen Bericht auf itzige Nachwelt gebracht / damit man das eigentliche Alter abnehmen könte / doch hat man für ohngefehr etliche 90 Jahren / als die Kirche an der Decke dazumahl gemahlet worden /aus einer Jahr-Zahl / alter Leute Bericht nach / abgenommen /daß schon selbige Zeit / die Kirche in die 560 Jahr alt gewesen.“ Hieraus ergibt sich mir eine späteste Erbauung einer Kapelle zumindest um das Jahr 1120, einer Zeit, in der der Meißner Markgraf Wiprecht II. von Groitzsch als Mitgift seiner Gemahlin Swatawa an das Gebiet des Gaues Nisan (im Dresdner Elbkessel) kam.
Neben der wirtschaftlichen und kirchlichen Betrachtungsweise des Neumarktes im Mittelalter künden gleich zwei Tore der Vorstadt um den heutigen Neumarkt vom regen Handel in und aus der Stadt gen Süden und Osten, das Frauentor (1297 erstmals erwähnt; 1379 Unser Vrouwen tor) und das Rampische Tor (um 1370 via Ramticz; 1402 das Rampissche thor), einschließlich dem Pirnaischen Tor (1388), alle jeweils mit Brücken über den Kaitzbach bzw. des noch nicht trocken gelegten Sees versehen. 1413 zinsten so vor dem Frauentor 10 Gartengrundstücke, wobei die kleine Viehweide (1410 des hirten garten auf der viechweid; 1411 20 gr. von dem heu uf der cleynen fywedin ufczubrengin) ebenfalls dem Auskommen der Dresdner gereichte.  
Gleichfalls wurde der weitere Ausbau der Stadt mit Türmen (1415 Frawenthorm), dem Ausbau der Straßen (1422 steinweg by Unßer Lieben Vrauwen kirchhof) und auch die Erweiterung des Frauenkirchgeländes (1403 Weihe des Frauenkirchhofes) vorangetrieben. Ebenso kündet 1428 die genannte Schützen- oder Schießgasse samt dem buchssenhuse by Unser Libin Frauwen tore (1430) von der Wehrhaftigkeit der Stadt.

Bis zu diesem Zeitpunkt sind gerichtliche Verwahrung und Rechtssprechung allgemein scheinbar nur innerhalb der Stadtmauern bzw. nach außerhalb des Wilsdruffer Tores verlegt gewesen. Erst 1491 erfahren wir aus einer Kämmereirechnung: 49 gr. 7 # 1 hllr. irnn 6, haben holcz beslagen das narrenhaus yn Unser Liben Frauen thor belattet bzw. 1508: 8 gr. den meuerern von den gefengknissen in Unser Libn Frawn thor zu bessern. Hintergrund dieses Mangels: Es fehlte an Platz. 
Erst der Ausbau der Festungswerke unter Markgraf Georg von Sachsen schuf hierfür die dementsprechenden Möglichkeiten. Die Veränderungen der Stadt waren so gravierend, dass der Dresdner Hofprediger Johann Cochläus (+ 1552) 1533 bemerkte, dass, wer Dresden seit 30 Jahren nicht gesehen hat, sie nicht wiedererkennen würde. Selbst ältestes Kartenwerk der Stadt gibt nur den Zustand der Stadt nach den Erweiterungsbauten, d.h. nach Aus- und Umbau der Gegend zwischen Frauentor, Kreuztor oder Kreuzpförtchen (um 1370), Rampischen Tor und Ziegeltor (1557 Schiffthor, 1565 das newe Fischerthor) wider. 

Die Häuser der Fischergemeinde, als "auf der Brücken" bzw. "an der Elbe" bezeichnet, teilten sich in eine Ober- bzw. Niedergemeinde auf und waren nach außen hin nur mit einem Stadtgraben vor evtl. Angriffen geschützt. In Friedenszeiten wurde dieser unter Wasser gesetzt und hierin Fische für den Bedarf des Rates gehalten. Auf dem Stadtgraben pflanzte man Bäume, welche jedoch in Kriegszeiten abgeholzt bzw. die Häuser in nächster Umgebung des Grabens (auch als auf dem Graben gelegen bezeichnet) abgebrochen (1429: 2 ß dem blinden manne vor Unsir Libin Frauwin thor, dem sein haws czubrochin wart). Innerhalb dieses Terrains, sind neben der Frauenkirche bzw. vor dem Frauentor zu jener Zeit gleichfalls der Pulverturm (erwähnt 1490), eine Windmühle hinter der Frauenkirche beim Maternihospital (1513), das Haus eines Schmiedes (1519; 6 gr. Ernest dem schmide gegeben hawßzinß von wegen der frawen, dy do auß dem freien hawß in den prückenhoff - Nähe Töpfergasse - gezogen ist und hatt mitt einen kinde in die 6 wochen gelegen in seynem hawß vor dem Frawentur) und ein Siechhaus für Pestkranke (1521; 111 ß 9 gr. 10 Pfg. ausgegeben vor das sichaus am kirchoff zu Unser Liben Frauen gelegen ...) urkundlich erwähnt.

Inwieweit nach dem Ausbau der Festungswerke auch hier ein Richtplatz aufgestellt war, entzieht sich bislang meiner Kenntnis. Erst neu aufgestellt war das Blutgerüst auf dem Jüdenhof zumindest bei der Hinrichtung des Kanzlers Nikolaus Krell am  09. Oktober 1601. Beriefen sich hierbei die Anklagepunkte u.a. auf Verschwendung und Verrat, konnte ein Angriff auf den Landesherrn Kurfürst Christian II. von Sachsen noch weniger ungesühnt bleiben. Im April 1603 gerieth der junge, von seinen Unterthanen, die ihn "das fromme Herz" nannten, aufrichtig geliebte Fürst, als er sich bei Gräfenhaehnichen auf der Jagd befand, in Gefahr, ermordet zu werden. Michael Heinrich und Hans Wenzel von Bitterfeld hatten auf den Kurfürsten geschossen. Die Hochverräter  starben am 19. Januar 1605 einen schrecklichen Tod. Heinrich ward auf dem Neumarkte zu Dresden lebendig geviertheilt und Wenzel mit Zangen gerissen und gerädert. (Quelle: Sammler 18)
Der hier einst gestandene Militärgalgen war Deserteuren zuerkannt. Alleine Iccander zählt hierbei zwischen 1705 und 1722 acht Hinrichtungen dieser Art. Bedenkt man, dass die dem armen Sünder zuerkannte Strafe des Hängens als unredlich galt, so verwundert es dennoch, dass auch in den nachfolgenden Jahren ein Verlassen von der Truppe in der sächsischen Armee nicht selten vorkam.

Dreßden, den 8. März [1776]. Demnach Ihro Churfürstliche Durchl. zu Sachsen aus vorwaltender Milde entschlossen, denen von Höchstdero Armee, und denen Regimentern Cavallerie, Infanterie und Artillerie, entwichenen Deserteurs, Höchstdero Landesväterliche Gnade, durch einen General-Pardon dergestalt angedeyhen zu lassen geruhet, daß alle und jede von Höchstdero Truppen entwichene in oder ausserhalb Landes sich aufhaltende Deserteurs, wenn solche vor Ausgang des jetzt laufenden 1776 Jahres in hiesige Lande und zu ihren Regimentern, bey welchen sie vor ergriffener Flucht gestanden freywillig zurückkommen, nicht allein mit aller Strafe verschont bleiben, und das Verbrechen, wenn sie künftig treu und ehrlich sich verhalten, ihnen nie zu einem Vorwurf oder Ahndung gereichen, sondern sie auch nach befundener Beschaffenheit ihrer Ansäßigkeit im Lande, oder ihrer Tüchtigkeit, sich bey der Landwirthschaft, oder durch ihre erlernte Handwerke redlich zu nähren, ohnentgeltlich wieder dimittiret, und mit Regiments-Abschieden zu den Ihrigen entlassen werden sollen; dahingegen diejenigen Deserteurs, welche gedachte ihnen zur Rückkehr gesetzte Frist muthwilliger und freventlicher Weise verabsäumen, bey ihrer Wiedererlangung ohnnachbleibende Strafe, nach der Schärfe der Kriegesartickel, und wenn sie nicht wieder zu erlangen, den Verlust ihres gegenwärtigen und zukünftigen Vermögens zu gewartzen haben, wie nicht weniger diejenigen, welche nach Publication dieses General-Pardons davon zu laufen sich unterfiengen, wenn selbige gleich vor Ablauf der oben gesetzten Frist freywillig zurückkehrten, mit der in denen Rechten gesetzten Strafe ohnfehlbar beleget werden sollen: Als dieser General-Pardon untern 12. Febr. 1776 publiciret, und nicht nur von denen Canzeln in Höchstdero Churfürstenthum und Landen drey auf einander folgende Sonntage abzulesen, sondern auch bey Höchstdero Armee, aller Orten, wo Truppen von selbiger befindlich, drey Tage nacheinander bey öffentlichen Paucken- und Trommelschall auszuruffen, auch damit alle Monate einmal bis zum Schluß des 1776 Jahres zu continuiren, gehörigen Orts gemessenster Befehl ertheilet worden, wie nicht weniger diesen General- Pardon durch die Zeitungen bekannt machen zu lassen. (Augspurgische Extra-Blatt, 1776. Nr. 64)
Nicht weniger schändlich schnitt man am „1705 d. 19. Mart. ... einen Deserteur vom Fürstenbergischen Regiment zu Dreßden unter der Justiz auf dem Neumarckt beyde Ohren weg, und nagelte sie mit 2 Nageln an den Galgen, drauf ward er durch den Schinderknecht zum Thore hinaus geführt und fortgejagt.“ [Quelle: Iccander] 1722 und 1724 ging man dazu über, Deserteure mit dem Richtschwert hinzurichten, 1725 ist gar von dem „ehrenvolleren“ Erschießen berichtet.

Ein heute weithin unbekanntes Strafinstrument wurde gar von dem berühmten Bernardo Bellotto (genannt Canaletto) auf seinen Gemälden des Dresdner Neumarktes verewigt, der Esel. Hierbei handelt es sich um ein hohes, vierbeiniges Holzgestell, das einen Eselskopf trug und dessen Rücken die Form eines spitz zulaufenden Daches hatte. Ursprünglich zur rein militärischen "Nutzung" bei kleineren Verfehlungen gedacht, ging man jedoch bald dazu über, auch das andere Volk bei minder schweren Vergehen hiermit zu konfrontieren. Bereits im Jahre 1659, als die Sicherheit auf den Strassen Dresdens und in den Wirtshäusern viel zu wünschen übrig ließ, setzte ein kurfürstlicher Erlass für die Urheber von Zank und Schlägerei in schweren, aber noch nicht mit Körperverletzungen verbundenen Fällen die Strafe des "Esels" mit nachfolgender Arbeit auf den Wallanlagen fest. Das solche Strafen eine Menge Volk anzog, sollte nicht noch extra betont werden, wie nachfolgender Zeitungsbericht zeigt:
Dressden, den 23. Juny [1724] Am 21. dieses hat man alhier auf dem Neumarckt ein Weibes-Mensch, welche einen Soldaten verführet, dass er mit ihr echappiret, beyde aber wieder ertappet worden, Mittags von 12 biss 2 Uhr beym Esel an der Haupt-Wache in einen von Stroh geflochtenen Crantz, einen ausgestopften und mit Soldaten Kleidern angezogenen Mann im rechten Arm haltend, zum grössten Gelächter vieler 100 Zuschauer, gestellet, hernach um 1 Uhr, als der mit ihr davon gegangene Deserteur 2 mahl scharf durch die Spiss-Ruthen lauffen müssen, vor selbigen durch die Parade Gassen mit ihren Habit und Strohman zugleich hergehen, auch biss nach geendigten Aufzug der gantzen Wache wieder am Esels Beine sehen lassen müssen. (Hamburgischer Correspondent 1724. Nr. 104)

Auch andernorts war das Sitzen auf dem Esel sehr wohl eine Erniedrigung:
Zelle / vom 18. Aprilis.
Vergangenen Mittwochen hatten wir dieses Ortes eine artige Execution wider eine Weibes-Person / welche sich wider öfters geschehenes Verbot des Officiers heimlich in einem andern Territorio trauen lassen / sie wurde durch den Steckenknecht auf öffentlichen Marckt an den Esel geschlossen / nachgehends von selbigem alle halbe Stunde mit sechs Eymer Wasser begossen / und währete diese Straffe von Morgends 8 Vhren biß 11 / da es dann an einer grossen Menge Canalie nicht fehlete / welche ihr bey jederen Guß Wasser gratulirten / auch wie sie endlich loßgelassen / durch die Bursche mit Freuden zum Thore hinaus begleitet ward; der Soldat sitzet noch in schwerer Hafft / weil er ohne dieses Mensch noch eine andere Frau hat /worbey sonderlich remarquabel / daß diese / des Kerls erste Frau / ebenmässig zwey Männer hat / auch deren erster Mann wieder 2 Frauen / auch 2 Männer. ... (Sonntagische Fama [Berlin] 1687. 18. Woche)
Livorno, den 18. Nov. Zu Finale hat es sich zugetragen, daß, als ein Corsischer Soldat aus dasiger Besatzung wegen gestohlner Trauben auf den Esel gesetzt worden, einige Jungen dessen mit Worten verspottet, worüber des Soldaten Cameraden, in der Meynung, daß sie hierunter ebenfals beleidiget würden, sich gewaltig erzürnet, und die Jungens übel tractiret. (
Hamburgischer Correspondent 1729. Nr. 196)
Neapolis, den 7. Febr. Nachdem der Superior der hiesigen Jesuiten einen Studiosum Theologiä, welcher schon geistliche Kleidung trug, durch einige Tagelöhner auf einen Esel setzen, und geisseln lassen, weil er im Disputiren allzu frey gewesen: so hat der Student solches dem hiesigen Ertz-Bischoff geklaget, welcher befohlen, daß forthin unter seiner Jurisdiction kein Jesuitischer Student ordiniret werden soll. (Vossische Zeitung. Berlin 1730. Nr. 34)
Paris, den 26. Junii. Vorgestern mußte ein alter 95jähriger Invalide, weil er seinem Cameraden ein Halstuch und Serviette gestohlen, eine halbe Stunde auf dem Esel reiten. (Vossische Zeitung. Berlin 1737. Nr. 83) ...