Abseits und doch mittendrin

 

Die Haupterwerbstätigkeit des Scharfrichters und seiner Gesellen war die Abdeckerei. Nebenher waren sie Landwirte (Ökonomen), Pferde- oder/und Hundezüchter und führten wie andere Vorstädter auch einen Hof. Das es manch einer damit auf die Spitze trieb, sei nur nebenbei erwähnt; zumindest nannte sich der Chemnitzer Scharfrichter auch "thierärztlicher Empiriker".

 

Thomas Rowlandson - A Dead Horse on a Knacker's Cart
Thomas Rowlandson - A Dead Horse on a Knacker's Cart

 

Das im Bannbereich des Abdeckers verendete – unreine – Vieh wurde von des Scharfrichters Knechten abgeholt, auf den Hof gekarrt und fast vollständig verwertet. Die abgezogenen Felle kamen den Gerbern oder/und Schustern zugute, ein Teil des Fleisches war getrocknet oder gekocht von den zu haltenden herrschaftlichen Jagdhunden verwertet oder wurde als Köder zur Fernhaltung von Wölfen außerhalb des Ortes ausgelegt. Die Knochen wurden ausgekocht oder gemahlen und als Schmieröl und Fett gebraucht oder als Rohstoff für die Seifen- und Kerzenproduktion weiterverarbeitet bzw. gemahlen als reiches Futter- und Düngemittel verwendet. Endprodukte waren außerdem Blutlaugensalz oder Tierkohle. Die Reste vergrub oder verbrannte man, wovon die Schindergruben noch mancherorts ihren Namen tragen.

 

In entsprechenden Abdeckereikonzessionen waren die Aufgaben des Abdeckers klar definiert. So heißt es z.B. 1775:

 

... daß auf denen Herrschaftlichen Rittergüthern ... und denen dahin gehörigen Freygüthern und Forwergen, bey Seuchen oder sonst anderen als wolle, gefallen Viehen Ochsen, Stieren, Kühen, Kalben, Ziegen, Pferden und Hunden auf beschehene Anzeige sofort und ohne den geringsten Verzug weg, und auf die Feldmeisterey umsonst  und ohne Entgeld zu hohlen, die Felle abzunehmen, und solche sowohl als Unschlitt [Talg]  von dem Rindviehe gleichfalls zurück zu geben, auch so ofte Hoch-Adel. GerichtsHerrschaft auf vorbenamten Güthern ein Stück Rindviehschlachten laßen, oder an die Fleischhauer unter hiesigen Gerichtsbarkeit verkaufen möchten welches beym Schlachten unrein befunden befunden worden, solches wie das gefallene Vieh, auf beschehene Anzeige sogleich weg- und auf die Feldmeisterey zu schaffen, die Felle ab- und das Unschlitt auszunehmen und beydes Hochadel. Gerichts Herrschaft, ohne einige Bezahlung davon zu erhalten zu zu liefern ...

Und wenn hier nächst unden den Herrschaftl. Schafvieh Seuchen oder andere Unglücksfälle sich ereignen möchten, so doch Gott verhüthen wolle, ist Besitzer der Feldmeisterey gleicher gestallt schuldig und verbunden, das gefallene oder durch andere Unglücksfälle ums Leben gekommene Schafvieh sowohl aus den Herrschaftlichen Schafstalle als auch von denen sämtlichen Triften, soweit sich solche erstrecken, ohne den mindesten Zeitverlust umsonst und auf die Feldmeisterey zu schaffen, die Felle, wenn solches verlanget, und ihm anbefohlen wird, abzunehmen, und ohne einige dafür zu verlangende Vergüttung Hochadel. GerichtsHerrschaft auszuliefern ...

 

Im Gegenzug wurde dem Abdecker u.a. Haus und Hof von der Stadt kostenfrei zur Verfügung gestellt. Das dieses vor der Stadt gelegen ward, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass das Verbrennen und Auskochen der zu verwertenden Tierkadaver in offenen Behältnissen sehr geruchsintensiv war. Kostenaufwendiger war das Verbrennen in geschlossenen Behältnissen mit Metallhaube und Dunstrohrleitung und deshalb  - da die Gerätschaften dazu sehr teuer - vielerorts ...  unwirtschaftlich. Erst ab einer bestimmten Menge an Groß- bzw. Kleinviehkadavern amortisierten sich die Kosten einer Anschaffung solcher geschlossener Apparate; doch lassen wir die Zahlen sprechen:

 

1870: Werth eines todten Pferdes. Die neue Zeitschrift „Das Kavallerie-Pferd“ berechnet den Werth eines todten Pferdes folgendermaßen. Ein todtes Pferd, gleichviel, wo es fällt, wird nirgend geachtet und man beeilt sich förmlich, es dem Abdecker abzutreten, weil man es werthlos erachtet. Es ist dies ein großer Irrthum, und um zu beweisen, wollen wir hier gleich berechnen, was ein gefallenes Pferd werth ist. Das 48 bis 68 Pfund schwere Fell hat einen Werth von 3 ½ bis 5 Thlr.; die Mähne, 6 bis 12 Loth schwer, ist 8 bis 54 Ngr. werth; 330 bis 410 Pfund Fleisch, das sich gut zu Dünger oder Thierfutter eignet, können auf 9 bis 12 Thlr. veranschlagt werden; 32 bis 40 Pfund Blut, gekocht und in Pulver verwandelt, verkaufen sich für 25 Ngr. Bis 1 Thlr.; Eingeweide usw. 12 bis 14 Ngr. werth, Sehnen und Flechsen, wiegen zumeist 4 Pfund, werden zur Leimfabrikation verwendet und verkaufen sich gewöhnlich zum Preise von 10 Ngr.; das Fett je nach Umständen 8 bis 60 Pfund – kann man das Pfund durchschnittlich auf 4 Ngr. veranschlagen, und dasselbe gewährt mithin eine Einnahme von 16 Ngr. Bis 8 Thlr.; die Hufe, Knochen etc. wiegen 90 bis 100 Pfund, verwerthen sich von 16 bis 20 Ngr. und werden zu Knochenkohle verwendet; Hufeisen, Nägel 2 bis 2 ½ Ngr.; ein todtes krepirtes Pferd bringt mithin 17 bis 30 Thlr.

 

Zeichnung von Paulus Potter (1625-1656)
Zeichnung von Paulus Potter (1625-1656)

Der Abdeckerei kam in Kriegszeiten eine besondere Bedeutung zu, waren sie es doch, welche die toten Pferdekadaver auf den Schlachtfeldern zu beseitigen hatten. So erfahren wir z.B. aus dem Lager vor Olmütz 1866 aus den Aufzeichnungen eines Offiziers der Königl.-Sächs. Leib-Brigade: ... Die Nachteile einer solcher Anhäufung von Truppen machten sich immer entschiedener geltend, zumal auch das nicht geschah, was noch leicht hätte nachgeholt werden können. Die Latrinen befanden sich mitten zwischen den Truppen, die Schlachtplätze, auf denen die Gedärme liegen blieben, unmittelbar neben denselben, und einige hundert Schritt weiter wurde im freien Felde eine Abdeckerei in Betrieb gesetzt